Erfolgreiches Patientenforum Allergie in Augsburg

Weltweit leiden immer mehr Menschen an Neurodermitis. Dies zeigte sich auch bei dem Patientenforum Allergie, das der Allergieinformationsdienst des Helmholtz Zentrums München am 14. September 2019 in Augsburg veranstaltete. Rund 50 Teilnehmende nutzten die Gelegenheit, sich auf den aktuellen Wissensstand zu Neurodermitis bei Kindern und Erwachsenen bringen zu lassen. Kooperationspartner vor Ort war das Institut für Umweltmeidzin am Universitären Zentrum für Gesundheitswissenschaften am Klinikum Augsburg (UNIKA-T).
Fünf angesehene Expertinnen und Experten aus Allergologie und Allergieforschung vermittelten anschaulich und praxisorientiert grundlegendes Wissen zu dem komplexen Krankheitsbild Neurodermitis und nahmen sich der Fragen der Besucherinnen und Besucher an. Auch der persönliche Austausch mit den Referentinnen und Referenten sowie mit anderen Betroffenen kam nicht zu kurz.
Neurodermitis und Umwelt

Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann (Direktorin des Lehrstuhls und Instituts für Umweltmedizin, Helmholtz Zentrum München) verdeutlichte die Relevanz der Neurodermitis als Umwelterkrankung. Neben der Ernährung und psychosozialen Faktoren ging sie vor allem auf menschgemachte (anthropogene) und natürliche (biogene) Umweltfaktoren ein, die auf das Krankheitsgeschehen einwirken können.
Bei den anthropogenen Einflüssen nannte sie beispielhaft Luftschadstoffe. Kinder, die in der Nähe einer stark befahrenen Straße aufwachsen, erkranken häufiger an Allergien und Neurodermitis. Auch Zigarettenrauch und mütterlicher Stress sind von Bedeutung. Diese Faktoren können sich nicht nur auf die Mütter selbst ungünstig auswirken, sondern über epigenetische Mechanismen auch das Allergie-Risiko der folgenden Generationen erhöhen. Bei den biogenen Faktoren sind unter anderem Pollen relevant. Sie stellen bei einigen Menschen mit Neurodermitis Triggerfaktoren dar – auch in Verbindung mit UV-Strahlung.
Gleichzeitig machte Prof. Traidl-Hoffmann Betroffenen Mut: Mit dem seit Ende 2017 zugelassenen Antikörper Dupilumab steht ein Medikament zur Verfügung, dass vielen Patientinnen und Patienten mit mittelschwerer und schwerer Neurodermitis ein weitgehend normales Leben ermöglicht. Weitere Wirkstoffe sind in der Entwicklung. Das Besondere an diesen neuartigen Medikamenten: Sie wirken gezielt auf bestimmte Mechanismen, die für das Krankheitsgeschehen bedeutsam sind. Andere Vorgänge im Körper werden dagegen nicht beeinflusst. Dadurch sind diese Therapien vergleichsweise nebenwirkungsarm.
Kinderhaut ist besonders empfindlich

Prof. Dr. Regina Fölster-Holst (Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel) erklärte den Teilnehmenden die Besonderheiten der Haut von Kindern und was diese für die Neurodermitis bedeuten. Bei der Geburt ist die Haut als äußere Schutzhülle des Körpers noch unreif und nicht vollständig ausgeprägt. So umfasst die schützende Hornzellschicht der Oberhaut bei Erwachsenen normalerweise 10 bis 15 Schichten – bei Säuglingen ist sie gerade einmal halb so dick. Außerdem sind die Oberhaut und das darunterliegende Bindegewebe nicht optimal miteinander verbunden. Die Hautbarriere ist daher natürlicherweise nicht voll funktionstüchtig. Sie reift erst innerhalb des ersten Lebensjahres. In diesem Zeitraum können jedoch viele Störfaktoren diesen Prozess beeinträchtigen.
Eltern sollten ihre Kinder daher grundsätzlich einmal täglich eincremen. Bei kleinen Neurodermitis-Patientinnen und -Patienten hat die Basistherapie eine besondere Bedeutung. Durch eine regelmäßige Pflege kann der Barrieredefekt verbessert werden. Wichtig ist, den gesamten Körper einzucremen, denn die Hautbarriere ist auch an Hautstellen gestört, an denen sich aktuell kein Ekzem zeigt. Als gute Grundlage der Basispflege nannte Prof. Fölster-Holst zum Beispiel die Basiscreme nach dem Deutschen Arzneimittel-Codex (DAC).
Basispflege ist mehr als „nur“ Pflege

Die Bedeutung der Basispflege als Grundsäule der Neurodermitis-Therapie betonte auch Dr. Andreas Weins (Universitätsklinikum Augsburg) in seinem Vortrag zur Vorbeugung akuter Neurodermitis-Schübe. Das Cremen ergänzt die Fettversorgung der Haut, die bei Menschen mit Neurodermitis Unterstützung benötigt. So ist es möglich, den Teufelskreis aus Entzündung, Juckreiz und Kratzen zu durchbrechen und der Haut das Abheilen zu ermöglichen.
Regelmäßiges Eincremen kann bei Kindern mit einem erhöhten Neurodermitisrisiko sogar vorbeugend wirken: Risikokinder, die ab der sechsten Lebenswoche einmal täglich eingecremt wurden, entwickelten nur halb so oft eine Neurodermitis wie Kinder, die nicht eingecremt wurden.
Dr. Weins gab zudem Tipps zur Auswahl der richtigen Pflegecreme. Dabei gilt, dass günstige Produkte teureren nicht zwangsläufig unterlegen sind. Er empfahl einen kritischen Blick auf die Inhaltsstoffe. Stoffe, welche die Hautbarriere angreifen sowie potenziell allergieauslösende Stoffe (z.B. Wollwachs, Duftstoffe) gehören nicht in die Basispflege. Harnstoff (Urea) ist für kleine Kinder weniger geeignet, da er auf der Haut brennen kann. Für ältere Kinder oder Erwachsene ist Harnstoff dagegen durchaus empfehlenswert.
Hilfe zur Selbsthilfe

Prof. Dr. Peter Schmid-Grendelmeier (Universitätsspital Zürich) zeigte in seinem Vortrag, was Menschen mit Neurodermitis selbst tun können, um besser mit der Erkrankung klarzukommen. Ein wichtiger Aspekt sind dabei Patientenschulungen, in denen grundlegendes Wissen zur Neurodermitis sowie Bewältigungsstrategien vermittelt werden. Wissen über Patientenschulungen fehlt häufig, was eine kurze Nachfrage von Prof. Traidl-Hoffmann bei den Teilnehmenden des Patientenforums bestätigte.
>> Weiterführende Informationen zu Patientenschulungen finden Sie hier
Anschließend gab Prof. Schmid-Grendelmeier Empfehlungen zur Hautreinigung und Pflege nach dem Merksatz „Feucht auf feucht, fett auf trocken“. Das bedeutet, dass nässende Ekzeme am besten mit einer feuchtigkeitsspendenden Creme oder Lotion gepflegt werden, während für trockene Ekzeme Salben und Fettsalben besser geeignet sind.
Als weitere Stellschrauben, mit denen Neurodermitis-Betroffene ihre Erkrankung positiv beeinflussen können, nannte Prof. Schmid-Grendelmeier die Lichttherapie, spezielle Textilien (z.B. antimikrobiell beschichtete Seide, silberbeschichtete Baumwolle), Prinzipien für einen gesunden Schlaf sowie Maßnahmen zum Stressabbau (z.B. Achtsamkeitstraining, Autogenes Training).
Wichtig ist, dass jeder Mensch mit Neurodermitis einen persönlichen Behandlungsplan hat. Eine Standardlösung gibt es nicht, da die Erkrankung individuell sehr unterschiedlich verläuft – was dem einen guttut, führt bei der anderen zu keiner Verbesserung oder gar zur Verschlechterung.
Bakterien und Neurodermitis

Der Mikrobiologe Dr. Matthias Reiger (UNIKA-T, Helmholtz Zentrum München) erläuterte die Bedeutung des Hautmikrobioms. Der menschliche Körper besteht nur etwa zur Hälfte aus menschlichen Zellen – die andere Hälfte bilden Bakterien. Auf der Haut gibt es 20 verschiedene Zelltypen, aber mehr als 1.000 verschiedene Bakterienformen. Bakterien können daher einen wichtigen Beitrag zu unserer Gesundheit und Krankheit leisten.
Bei Menschen mit Neurodermitis ist die Diversität der Mikroorganismen auf der entzündeten Haut reduziert. Das bedeutet, dass weniger unterschiedliche Bakterienarten vorkommen und diese anders verteilt sind als bei Gesunden. Von besonderer Bedeutung ist das Bakterium Staphylokokkus aureus. Es kommt auf der Haut von Neurodermitis-Betroffenen vermehrt vor und verdrängt andere Staphylokokken-Arten. Bemerkenswert ist, dass das Mikrobiom nicht nur an Hautstellen mit sichtbaren Ekzemen verändert ist, sondern auch auf vermeintlich gesunder Haut. Staphylokokkus aureus schwächt die Hautbarriere.
Ziel der Mikrobiomforschung zu Neurodermitis ist, die Diversität des Hautmikrobioms bei Betroffenen wiederherzustellen. Leider ist dies nicht so einfach: „Gute“ Mikroorganismen, die zum Beispiel mit einer Creme auf die Haut aufgetragen werden, verschwinden wieder, wenn das Produkt abgesetzt wird. Daher suchen Wissenschaftsteams nach Möglichkeiten, die vorhandenen nützlichen Mikroorganismen zu fördern und ungünstige auf diese Weise zu verdrängen.
Die Pausen nutzten die Teilnehmenden für das persönliche Gespräch mit den Referenten und anderen Betroffenen, sodass die Veranstaltung für alle – Teilnehmer, Referenten und Veranstalter – ein voller Erfolg war.