Behandlung und Prävention der Urtikaria

Wissenschaftliche Beratung: Prof. Dr. med. Dr. h.c. Torsten Zuberbier

Behandlung und Prävention der Urtikaria

Ziel der Behandlung einer Urtikaria ist die Erscheinungsfreiheit. Dazu können im Wesentlichen folgende Therapieansätze beitragen:
 

  • Erkennen und Beseitigen von zugrunde liegenden Ursachen
  • Vermeiden von auslösenden Faktoren
  • Erreichen einer Toleranz (Toleranzinduktion) und/oder
  • Anwendung von Medikamenten, die die Ausschüttung von Botenstoffen aus Mastzellen und/oder die Effekte solcher Botenstoffe hemmen

Ursachen erkennen und beseitigen, Auslöser vermeiden

Eine exakte Diagnose ist wichtig, um zugrunde liegende Ursachen zu beseitigen. Zumeist ist es schwierig, die Ursachen für eine chronische Urtikaria zu erkennen. Wenn beispielsweise gleichzeitig eine Infektion im Körper ist, kann diese sowohl eine Ursache sein als auch ein Provokationsfaktor, der die Urtikaria verschlimmert. Oder es besteht überhaupt kein Zusammenhang mit der Urtikaria.

Nur ein doppelblinder Provokationstest kann echte Beweise liefern: wenn die Symptome verschwinden, nachdem der Einfluss beseitigt wurde, und nach erneuter Provokation damit wieder auftreten. Doppelblind bedeutet, dass weder die getestete Person noch die Untersucherin/der Untersucher wissen, mit welchem Stoff (zum Beispiel Wirkstoff) provoziert wurde.

In Abhängigkeit von einzelnen Provokationsfaktoren und Auslösern können Empfehlungen für folgende Faktoren hilfreich sein:

  • Medikamente
  • Physikalische Reize
  • Infektionen und Entzündungen
  • Körperlicher und emotionaler Stress
  • Diätmaßnahmen

Medikamente

Verdächtigte Wirkstoffe sollte man absetzen oder – wenn sie unverzichtbar sind – durch Medikamente aus einer anderen Wirkstoffgruppe ersetzen. Wirkstoffe, die nicht-allergische Überempfindlichkeitsreaktionen verursachen (darunter vor allem nicht-steroidale Entzündungshemmer/Schmerzmittel), können eine chronische spontane Urtikaria nicht nur hervorrufen sondern eine bereits bestehende Nesselsucht auch verschlimmern. Im letzteren Fall wird deren Absetzen bei manchen Betroffenen lediglich die Symptome bessern, jedoch nicht beseitigen.

Physikalische Reize

Bei einer chronischen induzierbaren Urtikaria sollte man physikalische Reize möglichst (ver-)meiden, wenn diese nachweislich als Auslöser erkannt wurden. Dies ist allerdings im Alltag oft schwierig zu erreichen. Umso wichtiger ist es, dass Betroffene ihre individuelle Toleranzschwelle finden, also wieviel Reizintensität sie noch tolerieren, ohne dass sich Quaddeln bilden. Diese Toleranzschwelle lässt sich mithilfe spezieller Schwellentests ermitteln.

Beispielsweise kann man bei Kälteurtikaria mit einem speziellen Gerät die Haut durch einen Kältereiz mit stufenweise abnehmender Temperatur provozieren, um dann zu messen, ab welcher Temperatur die Quaddelbildung einsetzt. Wenn Betroffene ihre individuelle Schwelle kennen, kann es ihnen helfen, dies im Alltag zu berücksichtigen und besser damit umzugehen oder riskante Situationen gegebenenfalls zu meiden. So sollten beispielsweise Patientinnen oder Patienten mit Kälteurtikaria es vermeiden, ihre Haut länger Temperaturen auszusetzen, die unterhalb ihrer individuell ermittelten Schwelle liegen.

Infektionen und Entzündungen

Bei chronischen spontanen Urtikariaformen beobachtet man häufig, dass sie durch vielfältige entzündliche und/oder infektiöse Erkrankungen ausgelöst werden. Der ursächliche Zusammenhang ist jedoch nicht immer eindeutig. Aus den vorhandenen Daten lassen sich auch keine generellen Empfehlungen zur Behandlung dieser Erkrankungen ableiten, um die Urtikaria zum Abheilen zu bringen. Allerdings ist es in vielen Fällen sinnvoll, Infektionen und andere entzündliche Erkrankungen fachgerecht zu behandeln. Im Einzelfall muss die Ärztin oder der Arzt anhand aller vorliegenden Befunde und individueller Gegebenheiten entscheiden, ob Infektionserreger auszuschalten und/oder Entzündungen zu behandeln sind.

Körperlicher und emotionaler Stress

Die Mechanismen von durch Stress ausgelösten Schüben der Nesselsucht sind noch nicht im Detail geklärt. Es gibt Hinweise dafür, dass sowohl körperlicher als auch emotionaler Stress beispielsweise eine cholinergische Urtikaria verschlimmern kann.

Diätmaßnahmen

Eine IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie ist sehr selten die Ursache für eine Chronische spontane Urtikaria. In diesen Fällen sollten Betroffene die entsprechenden Allergene möglichst meiden, dann klingen die Symptome innerhalb von kurzer Zeit ab. Häufiger beobachtet man pseudoallergische Reaktionen (nicht-IgE-vermittelte Überempfindlichkeit) auf natürlich vorkommende Lebensmittelbestandteile oder Zusatzstoffe (Additiva). Bislang liegen allerdings nicht genügend aussagekräftige Daten vor, die es erlauben würden allgemeine Empfehlungen etwa zum Verzicht auf solche Stoffe zu geben. Ähnliches gilt für Stoffe, die viel Histamin enthalten oder dessen Freisetzung auslösen. Eventuelle Diätversuche sollten mindestens zwei bis drei Wochen andauern, um gegebenenfalls Erfolge feststellen zu können.

Empfehlungen zu speziellen Urtikariaformen 

  • Verzögerte Druckurtikaria: Betroffene sollten starken statischen Druck, beispielsweise durch das Tragen enger Schuhe und enganliegender Kleidung, vermeiden. Wichtig ist zu verstehen, dass der Druck sowohl vom einwirkenden Gewicht abhängt als auch von der betroffenen Kontaktoberfläche. Das bedeutet, wenn sich die Gewichtskraft nicht vermindern lässt, sollte man die Kontaktfläche auf ein Maximum vergrößern. 
  • Lichturtikaria: Betroffene sollten ihre Haut möglichst nicht der Sonne aussetzen, schützende Kleidung tragen oder Lichtschutzmittel mit hoher Schutzwirkung anwenden.
  • Cholinergische Urtikaria: Bei schweren Formen ist es überaus bedeutsam, Überwärmungen zu vermeiden, auch wenn dies praktisch sehr schwierig ist. Therapie der Wahl ist daher die symptomatische Behandlung.

GUT ZU WISSEN:

Wegen der Gefahr einer anaphylaktischen Reaktion (vor allem bei Kälteurtikaria) sollte eine Toleranzinduktion nur unter ärztlicher Aufsicht eingeleitet werden.

Toleranzinduktion

Bei einigen Formen der Nesselsucht kann eine sogenannte Toleranzinduktion sinnvoll sein. Ziel ist, dass Betroffene den Kontakt mit dem auslösenden Reiz symptomfrei vertragen (tolerieren). Dies kann etwa erfolgreich sein bei Kälteurtikaria, Lichturtikaria oder cholinergischer Urtikaria.

Allerdings hält die Toleranzinduktion in der Regel nur für wenige Tage an, sodass eine häufige und regelmäßige Wiederholung der Reizeinwirkung mit einer gewissen Intensität (Schwellenwert) erforderlich ist. Beispielsweise müsste man bei Kälteurtikaria täglich mit kaltem Wasser duschen. Dieses Vorgehen kann für die Betroffenen unangenehm und zeitaufwändig sein.

Symptomatische Behandlung mit Medikamenten

Die medikamentöse Behandlung der Nesselsucht lindert nur die Symptome, setzt aber nicht bei den Ursachen an. Medikamente der ersten Wahl bei allen Urtikaria-Formen sind Antihistaminika, vorzugsweise der zweiten Generation. Sie hemmen die Wirkung von Histamin und weiteren entzündungsfördernden Botenstoffen, die bei der Entstehung von Quaddeln und Juckreiz eine maßgebliche Rolle spielen. Antihistaminika gibt es in Tablettenform oder auch als Lösung zum Einnehmen.

Bei Urtikaria ist es möglich, dass die empfohlene Tagesdosis nicht ausreichend wirksam ist, um eine Symptomkontrolle zu erreichen. In solchen Fällen kann die Ärztin oder der Arzt entscheiden, die Dosis des Antihistaminikums bis maximal zum Vierfachen der empfohlenen Tagesdosis zu erhöhen. Diese Dosissteigerung ist in Leitlinien zwar ausdrücklich erwähnt, sie entspricht jedoch nicht der Medikamenten-Zulassung und sollte daher nur in Absprache mit der/dem behandelnden Fachärztin/Facharzt erfolgen. Manchmal kann es auch sinnvoll sein, das Präparat zu wechseln, da das Ansprechen auf einzelne Antihistaminika individuell und abhängig vom Krankheitsbild unterschiedlich sein kann.

Antikörpertherapie mit Omalizumab

Sollte sich die Behandlung mit Antihistaminika nach mehreren Wochen als erfolglos erweisen, kann es bei der Chronischen spontanen Urtikaria sinnvoll sein, zusätzlich eine Therapie mit dem Anti-IgE-Antikörper Omalizumab einzuleiten. Omalizumab ist in diesem Anwendungsbereich für Erwachsene und Jugendliche ab dem zwölften Lebensjahr zugelassen. Es wird unter die Haut (subkutan) gespritzt. Empfohlen wird eine Injektion in Abständen von vier Wochen.

Glukokortikoid ("Cortison")

Bei sehr schweren Erkrankungsschüben kann es notwendig sein, für wenige Tage eine Therapie mit einem hoch dosierten Glukokortikoid (Cortison / Kortison) durchzuführen.

Bei fehlendem Ansprechen auf die Standardtherapie oder schweren Schüben kann die Ärztin oder der Arzt ausnahmsweise auch andere Medikamente verordnen, die zwar wirksam sein können, jedoch zur Behandlung dieses Krankheitsbildes nicht zugelassen sind.

Bei einigen Formen (insbesondere symptomatischer Dermographismus) kann auch eine Phototherapie oder Photochemotherapie wirksam sein.

Wissenschaftliche Beratung

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Torsten Zuberbier

Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Charité - Universitätsmedizin Berlin

E-Mail: Torsten.ZuberbiernoSp@m@charite.de

Quellen:

Die hier aufgeführten Leitlinien und Aufsätze richten sich, so nicht ausdrücklich anders vermerkt, an Fachkreise. Ein Teil der hier angegebenen Aufsätze ist in englischer Sprache verfasst.

  • Magerl, M., et al.: The definition, diagnostic testing, and management of chronic inducible urticarias – The EAACI/GA2LEN/EDF/UNEV consensus recommendations 2016 update and revision. In: Allergy 2016; 71: 780–802
  • Staubach, P.: Urtikaria – Update zu Diagnostik, Therapie und Differenzialdiagnosen. In: Allergo J Int 2018; 27: 20–4
  • Zuberbier, T., et al.: The EAACI/GA²LEN/EDF/WAO Guideline for the Definition, Classification, Diagnosis and Management of Urticaria. The 2017 Revision and Update. In: Allergy 2018; 73(7):1393-1414

Letzte Aktualisierung:

24. September 2018