Diagnose der Urtikaria

Wissenschaftliche Beratung: Prof. Dr. med. Dr. h.c. Torsten Zuberbier

Das klinische Erscheinungsbild der Urtikaria ist in der Regel eindeutig, sodass die Diagnose zumeist rasch feststeht. Weitaus schwieriger gestaltet sich oft die Suche nach der Ursache beziehungsweise dem Auslöser. Hier ist zumeist sehr viel Detektivarbeit erforderlich. 

Das diagnostische Vorgehen ist abhängig von Verlaufsform und möglicherweise verdächtigten Auslösern.

Diagnosestellung der akuten Urtikaria

Bei einer akuten (spontanen) Urtikaria ist in der Regel keine aufwändige Diagnostik angebracht, denn sie klingt üblicherweise von selbst wieder ab. Es gibt nur zwei Ausnahmen, bei denen es zumeist sinnvoll ist, Allergietests durchzuführen: Zum einen, wenn der Verdacht besteht, dass der akute Nesselausschlag durch eine Lebensmittelallergie vom Typ I bei einem bereits sensibilisierten Menschen verursacht wird. Die andere Ausnahme besteht, wenn andere auslösende Faktoren vorhanden sind, wie etwa die Einnahme von nicht-steroidalen antirheumatischen (NSAR) Arzneimitteln (entzündungshemmende/fiebersenkende Schmerzmittel, englisch auch NSAID für non-steroidal anti-inflammatory drugs). Bestätigt sich ein solcher Verdacht, sollten Betroffene gegebenenfalls die Auslöser besser meiden.
 

Diagnosestellung der chronischen Urtikaria

Foto von Haut mit Quaddeln
© areeya_ann/adobe.stock.com

Anders verhält es sich bei der chronischen (spontanen) Urtikaria. Hier gilt es, andere, möglichweise infrage kommende Erkrankungen auszuschließen (Differenzialdiagnose), die ebenfalls mit der Bildung von Quaddeln und/oder einem Angioödem einhergehen können.

Erster Schritt der Diagnose ist in der Regel die Anamnese, also eine gründliche Erhebung der Krankengeschichte durch die Ärztin oder den Arzt. Aufgrund der vielfältigen möglichen Ursachen hat diese einen besonders hohen Stellenwert, um die richtige Diagnose zu finden. Umso wichtiger ist es auch für Betroffene, möglichst gut zu dokumentieren, unter welchen Umständen und in welchem zeitlichen Zusammenhang die Hauterscheinungen auftreten. Je genauer Sie der Ärztin/dem Arzt darüber berichten können, umso gezielter lassen sich weitere diagnostische Schritte einleiten. Hierbei kann es sehr hilfreich sein, über eine gewisse Zeit ein Tagebuch zu führen. Auch die Checkliste für den Arztbesuch ist eine gute Orientierungshilfe.

Wichtige Fragen an Betroffene

Die Beantwortung folgender Fragen, die möglicherweise die Ärztin/der Arzt stellen wird, kann bei der Suche nach den Ursachen und Zusammenhängen hilfreich sein:

  • Wie oft treten die Quaddeln auf und wie lange bleiben sie bestehen? Welche Form und Größe haben sie? Wo treten sie auf, und wie sind sie verteilt?
  • Kommt es gleichzeitig zu Schwellungen von Haut und Schleimhäuten (Angioödem)?
  • Gibt es Begleitsymptome, zum Beispiel Schmerzen, Fieber, Bauchkrämpfe?
  • Lassen sich die Hautveränderungen durch bestimmte Nahrungsmittel, Medikamente (insbesondere entzündungshemmende/fiebersenkende Schmerzmittel, Antibiotika und Bluthochdruckmittel wie sogenannte ACE-Hemmer), physikalische Stoffe oder nach körperlicher Anstrengung auslösen?
  • Besteht ein Zusammenhang mit der Tageszeit oder bestimmten Wochentagen (Wochenende), mit Urlaub oder Reisen; bei Frauen mit dem Menstruationszyklus?
  • Gibt es einen Zusammenhang mit Infektionen und/oder Stress?
  • Sind Hautausschläge mit Quaddeln und/oder Haut-/Schleimhautschwellungen bei Familienangehörigen aufgetreten?
  • Bestanden früher oder bestehen aktuell Allergien, Infektionen, internistische oder Autoimmunerkrankungen oder Beschwerden im Magen-Darm-Bereich?
  • Wurden bereits früher diagnostische Maßnahmen durchgeführt, und wann ja, mit welchen Ergebnissen?
  • Wurde die Nesselsucht bereits vorher behandelt? Wenn ja, wie, beziehungsweise mit welchen Medikamenten, und wie war das Ansprechen darauf?
Flussdiagramm zum diagnostischen Vorgehen bei Verdacht auf chronische Urtikaria - Inhalt siehe Textalternative

Körperliche Untersuchung und Labortests

Der zweite diagnostische Schritt besteht in einer körperlichen Untersuchung, die auch eine Untersuchung der Haut am ganzen Körper mit einschließt. Abhängig von den Ergebnissen der Befragung und dieser Untersuchungen folgen dann weitere diagnostische Maßnahmen. Dazu gehört insbesondere bei Chronischer spontaner Urtikaria in der Regel eine Blutentnahme mit Bestimmung des sogenannten Differenzialblutbilds. Dabei wird die Zahl der Blutzellen einschließlich des Anteils einzelner Unterarten weißer Blutzellen (Leukozyten) bestimmt. Diese spielen bei immunologischen und entzündlichen Prozessen eine bedeutende Rolle. Weitere Laborwerte liefern Anzeichen für eine Entzündung im Körper. Zu diesen sogenannten Entzündungsmarkern zählen insbesondere die Blutsenkung oder Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit (BSG, BKS) und das C-reaktive Protein (CRP).

Bei Verdacht auf bestimmte Grunderkrankungen (zum Beispiel Infektionen, Autoimmunerkrankungen) können weitere Laboruntersuchungen erforderlich und sinnvoll sein. Dazu zählt beispielsweise die Suche nach Infektionen durch bestimmte Bakterien wie Streptokokken, Staphylokokken oder Helicobacter pylori sowie die Überprüfung der Schilddrüsenwerte (TSH, Schilddrüsen-Antikörper). Bei entsprechendem Verdacht kann auch eine Hals-Nasen-Ohren (HNO)- und/oder zahnärztliche Untersuchung sinnvoll sein, um bislang unbemerkte chronische Entzündungen in diesen Bereichen auszuschließen.

Provokationstests auf verdächtige Auslöser

Bei Verdacht auf eine induzierbare, das heißt durch bestimmte Reize auslösbare Nesselsucht, führt man eine Provokationstestung mit dem verdächtigten Auslöser durch, um die Verdachtsdiagnose zu bestätigen. Teilweise gehört dazu ein Schwellentest, bei dem man den individuellen Schwellenwert (zum Beispiel Temperatur oder Druckintensität) ermittelt, ab dem die Bildung von Quaddeln ausgelöst wird. Für die meisten Formen stehen geprüfte (validierte) und standardisierte Geräte und Messverfahren für Provokationstests zur Verfügung.

Nachfolgend sind die üblichen Testmethoden für die einzelnen Formen kurz beschrieben:

  • Kälteurtikaria: Kälteprovokation der Haut, in der Regel am Unterarm, beispielsweise mit Eiswürfeln/Kältepack, kaltem Wasserbad oder kaltem Wind (Ventilator)
  • Wärmeurtikaria: Wärmeprovokation, in der Regel am Unterarm, beispielsweise in warmem Wasserbad oder mit einem erwärmten Gegenstand für mehrere Minuten
  • verzögerte Druckurtikaria: Drucktest (für zirka 10 beziehungsweise 20 Minuten wird Druck auf die Haut ausgeübt, etwa durch ein an einem Schulterriemen hängendes Gewicht oder über Stäbe, die mithilfe eines Rahmens auf die Haut am Rücken, Schenkel oder Unterarm einwirken, oder eines sogenannten Dermographometers); die Reaktion sollte etwa sechs Stunden nach Ende der Provokation beurteilt werden.
  • Lichturtikaria: Provokation mit ultraviolettem (UV) und sichtbarem Licht unterschiedlicher Wellenlänge. Wichtig ist, dass vorher weder Sonnenschutzmittel noch Substanzen, die die Lichtempfindlichkeit erhöhen (lichtsensibilisierende Stoffe), auf die Haut aufgetragen werden.
  • cholinergische Urtikaria: Provokation durch mäßige körperliche Anstrengung bis zum Schwitzen und bis zu 15 Minuten darüber hinaus, oder bis Symptome auftreten. Das Tragen warmer Kleidung in warmer Umgebungstemperatur erleichtert den Provokationstest. Wenn der Test positiv ausfällt (typischer Hautausschlag über eine Dauer von zehn Minuten), sollte mindestens 24 Stunden später ein weiterer Test mit passiver Erwärmung (heißes Vollbad) folgen, um eine durch Anstrengung und/oder Nahrungsmittel auslösbare (anstrengungsinduzierte) Anaphylaxie auszuschließen. Diese wird ausschließlich durch körperliche Aktivität ausgelöst und kann durch Nahrung oder Medikamenten beeinflusst werden.
  • Kontakturtikaria: Hauttest (Pricktest, Patchtest oder anderer Test mit direkter Anwendung des Auslösers auf der Haut) mit Ablesung nach 20 Minuten; wenn der Auslöser eindeutig ist, wie beispielsweise bei Brennnessel oder Qualle, ist kein Test erforderlich.
  • aquagene Urtikaria: Auflegen von nassen Tüchern auf die Haut für zirka 20 Minuten
  • Urticaria factitia (symptomatischer Dermographismus): Test zum Auslösen eines Dermographismus durch Kratzen der Haut am Unterarm oder Rücken, etwa mit einem geschlossenen Kugelschreiber oder einem Holzspatel
  • vibrationsinduziertes Angioödem: Provokation mit Vibration, etwa mithilfe eines Schüttelgerätes (sog. Vortexmischer/-mixer), wie es in medizinischen Labors zum Schütteln von Reagenzgläsern verwendet wird; dabei wird der Unterarm auf eine Platte aufgelegt, die auf dem Gerät platziert ist, während dieses für fünf Minuten in Betrieb ist; die Reaktion wird dann nach zirka zehn Minuten untersucht.

Bei Verdacht auf eine Pseudoallergie/Intoleranzreaktion gegenüber Nahrungsmitteln kann eine diagnostische Eliminationsdiät hilfreich sein, bei der man die verdächtigten Nahrungsmittel oder sonstige Stoffe vorübergehend weglässt.

Wissenschaftliche Beratung

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Torsten Zuberbier

Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Charité - Universitätsmedizin Berlin

E-Mail: Torsten.ZuberbiernoSp@m@charite.de

Quellen:

Die hier aufgeführten Leitlinien und Aufsätze richten sich, so nicht ausdrücklich anders vermerkt, an Fachkreise. Ein Teil der hier angegebenen Aufsätze ist in englischer Sprache verfasst.

  • Magerl, M., et al.: The definition, diagnostic testing, and management of chronic inducible urticarias – The EAACI/GA2LEN/EDF/UNEV consensus recommendations 2016 update and revision. In: Allergy 2016; 71: 780–802
  • Staubach, P.: Urtikaria – Update zu Diagnostik, Therapie und Differenzialdiagnosen. In: Allergo J Int 2018; 27: 20–4
  • Zuberbier, T., et al.: The EAACI/GA²LEN/EDF/WAO Guideline for the Definition, Classification, Diagnosis and Management of Urticaria. The 2017 Revision and Update. In: Allergy 2018; 73(7):1393-1414

Letzte Aktualisierung:

24. September 2018