Pollen überall: Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf Natur und Menschen mit Heuschnupfen?
Fichten haben 2022 ein sogenanntes Mastjahr: Sie produzieren besonders viele Pollen – so viele, dass Gartenmöbel, Autos und Fensterbänke von einer gelb-grünen Schicht bedeckt sind. Ob in den letzten Jahren der Klimawandel diese Massenproduktion an Blütenstaub häufiger ausgelöst hat und ob dies Auswirkungen für Menschen mit Heuschnupfen hat – erklärt die Umweltmedizinerin Prof. Claudia Traidl-Hoffmann von Helmholtz Munich im Interview.
Allergieinformationsdienst: Derzeit sind Autos und Gartenmöbel häufig von grün-gelbem Blütenstaub bedeckt – wer ist der oder die Verursacher:in?
Prof. Traidl-Hoffmann: Aktuell sind es vor allem die Pollen der Fichte, die sich überall absetzen. Obwohl zurzeit auch Eichen und sogar schon die ersten Gräser blühen, sind es die Fichtenpollen, die man gerade so gut sieht – sie sind nämlich wesentlich größer als andere Pollen. Außerdem haben Fichten 2022 ein sogenanntes Mastjahr: Sie blühen besonders stark, setzen also massenhaft Pollen frei.
Mastjahre – Blühen im Übermaß
Allergieinformationsdienst: Wie kommt es zu solchen Mastjahren?
Prof. Traidl-Hoffmann: Mastjahre treten normaler Weise in Abständen von einigen Jahren auf. Ausgelöst werden sie durch warme und trockene Sommer und Spätfröste im Vorjahr.
Allergieinformationsdienst: Kann der Klimawandel Mastjahre auslösen?
Prof. Traidl-Hoffmann: Ja, weniger Niederschlag beziehungsweise Wassermangel kann eine Folge des Klimawandels sein und in der Folge kann die Pollenproduktion steigen. Die Bäume befinden sich dann in einer Notsituation und versuchen ihren Fortbestand zu sichern: Die Produktion vieler Pollen erhöht die Chance auf mehr Nachkommen, die es schaffen, trotz Krise zu überleben.
Allergieinformationsdienst: Hat die Fichte Nachteile durch diese Stressreaktion?
Prof. Traidl-Hoffmann: Ja: Durch die vermehrten Ressourcen, die Fichten in Mastjahren in die Massenproduktion der Pollen stecken, sinken ihre Abwehrkräfte und sie werden anfälliger gegenüber Schädlingen.
Fichtenpollen – lästig, aber nicht allergen
Allergieinformationsdienst: Wie wirkt sich die aktuelle Menge an Fichtenpollen auf Menschen mit Heuschnupfen aus?
Prof. Traidl-Hoffmann: Die Pollen der Fichte lösen meist keine allergischen Symptome in Form von Heuschnupfen aus. Sie scheinen nicht besonders allergen zu sein, das heißt, dass sie das Immunsystem nicht zu Überreaktionen, wie sie für Allergien typisch sind, sensibilisieren. Menschen mit Heuschnupfen haben daher keine stärkeren Symptome durch die aktuelle Menge an Fichtenpollen in der Luft.
Allergieinformationsdienst: Warum verursachen Fichtenpollen keinen Heuschnupfen?
Prof. Traidl-Hoffmann: Allergener Blütenstaub besteht aus Pollen, die das Immunsystem sensibilisieren. Hierfür muss ein Pollen auf der Schleimhautoberfläche ein Eiweiß freisetzen, dass von dem Immunsystem fälschlicherweise als Gefahr angesehen wird. Fichtenpollen fehlt anscheinend ein für diese Reaktionskette notwendiges Gefahren-Signal, dass immer zusammen mit einem Eiweiß auftreten muss. Was genau einen Pollen zum Allergie-Auslöser macht, untersuchen wir gerade, da uns detaillierte Grundlagenerkenntnisse bislang noch fehlen.
One Health: Klimawandel schadet Natur und Gesundheit
Allergieinformationsdienst: Also ist der aktuelle Blütenstaub der Fichte zwar vielleicht lästig, aber ohne Auswirkungen auf die Gesundheit?
Prof. Traidl-Hoffmann: Das kann man so verallgemeinert nicht sagen. Fichtenpollen lösen in keinem nennenswerten Ausmaß Heuschnupfen aus. Sie können aber, wie andere, häufig vorkommende Luftpartikel auch, zu chronischen Reizungen in den oberen Luftwegen führen.
Allergieinformationsdienst: Welche Folgen haben chronische Reizungen der Atemwege?
Prof. Traidl-Hoffmann: Chronische Reizungen der Atemwege führen bei Betroffenen zu einer übermäßigen Empfindlichkeit gegenüber verschiedenen Reizen. Diese so genannte bronchiale Hyperreagilität und die permanente Entzündung führen über mehrere Mechanismen zu einer Verengung der Bronchien (Atemwegsobstruktion). Typische Asthma-Symptome können die Folge sein.
Unsere Expertin im Interview:
Prof. Claudia Traidl-Hoffmann ist Direktorin des Instituts für Umweltmedizin von Helmholtz Munich, Ordinaria für Umweltmedizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg und Direktorin der Hochschulambulanz für Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg.
Weiterführende Informationen:
- Pollen-Monitoring zeigt Einfluss von Klimawandel auf Pollenflug und Heuschnupfen
- Podcasts: Klimawandel verändert Pollenflug
- Heuschnupfen
- Spezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung)
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