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Der Placebo-Effekt bei Studien zur Allergen-Immuntherapie (AIT)

Spätherbst oder früher Winter ist insbesondere für Betroffene mit Pollenallergien genau die richtige Jahreszeit, um mit einer Allergen-Immuntherapie (AIT) zu beginnen. Die Wirksamkeit dieser Behandlung, die auch als spezifische Immuntherapie (SIT) bekannt ist, für bestimmte Altersgruppen und Allergene konnte in vielen klinischen Studien belegt werden.

Wissenschaftliche Beratung:

Prof. Dr. Jörg Kleine-Tebbe, Deutsche Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI)

Spätherbst oder früher Winter ist insbesondere für Betroffene mit Pollenallergien genau die richtige Jahreszeit, um mit einer Allergen-Immuntherapie (AIT) zu beginnen. Die Wirksamkeit dieser Behandlung, die auch als spezifische Immuntherapie (SIT) bekannt ist, für bestimmte Altersgruppen und Allergene konnte in vielen klinischen Studien belegt werden.

Wissenschaftliche Beratung:

Prof. Dr. Jörg Kleine-Tebbe, Deutsche Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI)

Placebo-Effekt nicht zu unterschätzen

Gut belegt ist der Effekt insbesondere für den allergischen (Heu-)Schnupfen bei

Wie in allen klinischen Studien werden aber auch bei durchaus erfolgreichen Studien zur AIT Placebo-Effekte in teils hohem Ausmaß beobachtet. Das heißt konkret: Patienten aus der Kontrollgruppe, die das spezifische Allergen gar nicht erhalten, zeigen dennoch positive Wirkungen in Form einer Linderung ihrer Symptome. Wie genau kennt man diese Placebo-Effekte, was sind die möglichen Ursachen dafür, und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Patienten und Studienärzte?

Die Datenlage zum Placebo-Effekt bei der AIT ist derzeit noch nicht ausreichend, um klare Schlussfolgerungen für künftige Studien, die Interpretation ihrer Ergebnisse oder gar für die künftige Behandlung zu ziehen. Der Allergieinformationsdienst fasst für Sie den Stand des Wissens zusammen.

Was ist der Placebo-Effekt?

Placebo-Effekte in Studien – das sind positive Auswirkungen bei Studienteilnehmern, ohne dass sie den Wirkstoff erhalten, der in der Studie getestet werden soll.

Nach heutigem Kenntnisstand verbergen sich hinter den Placebo-Wirkungen verschiedene Effekte:

  • Die Tendenz von extremen Beobachtungen (z.B. schwere Allergiesymptome zu Beginn einer Studie) im weiteren Verlauf zu Durchschnittswerten zurückzukehren. Dieses Phänomen wird als statistische Regression zur Mitte („regression to the mean“) bezeichnet.
  • Die Neigung von Studienteilnehmern, unter Beobachtung (z.B. im Rahmen einer Studie) veränderte Selbstwahrnehmung und anderes Verhalten zu zeigen. Dieses Phänomen ist als „Hawthorne-Effekt“ bekannt.
  • Variable Allergenbelastungen und Schwankungen im natürlichen Verlauf können ebenfalls zu veränderten Ergebnissen (zum Beispiel im Rahmen einer Studie) führen.
  • Schließlich können Erwartungen an die Therapie das Ergebnis der Behandlung beeinflussen. Besonders gut untersucht ist das bei der Schmerztherapie, häufig stecken komplexe psychosoziale und neurobiologische Mechanismen hinter diesem Placebo-Effekt im engeren Sinne.

Placebos in Studien

In qualitativ hochwertigen Studien wird neben der eigentlichen Studiengruppe zumeist zur Kontrolle eine Placebo-Gruppe angelegt. Dies ist eine Patientengruppe, die anstelle des zu untersuchenden Medikaments ein wirkstofffreies Präparat erhält. In Studien zur Allergen-Immuntherapie (AIT) ist das Placebo demnach ein Präparat ohne das verantwortliche Allergen.

Die Patienten werden meist nach dem Zufallsprinzip auf die beiden Gruppen aufgeteilt (randomisiert). Wenn zudem weder die Patienten noch das Studienpersonal wissen, ob sie das zu testende Präparat oder das Scheinmedikament (Placebo) erhalten, handelt es sich um eine randomisierte doppelblinde Placebo-kontrollierte Studie. Diese Studienform ist der Gold-Standard, um die Wirksamkeit eines Medikaments im Vergleich zu einem Placebo zu belegen und mögliche Nebenwirkungen abzubilden. Das Problem dabei: Starke Placebo-Effekte können diesen Nachweis erschweren.

Placebos in Studien zur Allergen-Immuntherapie (AIT)

Placebo-Effekte werden in fast allen Studien zur Allergiebehandlung und auch beim Einsatz der AIT beobachtet. Hier liegt eine besondere Situation vor: Meist nehmen Patienten mit schweren allergischen Erkrankungen teil, weshalb sie während der AIT-Studie auch nicht auf ihre Standardbehandlung verzichten können. Das heißt, dass auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kontrollgruppe Wirkstoffe erhalten, die das Studienergebnis beeinflussen können. Es handelt sich demnach auch nicht um unbehandelte Placebo-Gruppen im eigentlichen Sinne.

Hinzu kommt, dass die Symptomatik von allergischen Erkrankungen, etwa durch eine Pollenallergie, starken zeitlichen Schwankungen unterliegt. Daher ist auch der Erfolg einer AIT im Nachgang häufig nicht mit harten Fakten so objektiv zu benennen, wie dies bei Studien zu anderen Krankheitsbildern möglich ist. Oft stehen bei Allergikern daher subjektive Angaben zur Verbesserung der Lebensqualität im Vordergrund.

Zum Teil umfangreiche Placebo-Effekte

In Studien zur allergenspezifischen Immuntherapie werden Placebo-Effekte in zum Teil erheblichem Umfang beobachtet. Zwar ist der übliche Umfang recht variabel mit Placebo-Raten von 20–30 Prozent, Einzelne Studien stellten jedoch Placebo-Effekte von über 50 Prozent im Vergleich zum Wirkstoff fest. In einer Phase-III-Studie mit kurzen Bruchstücken (Peptiden) des Katzenallergens Fel d 1 fand man etwa einen Placebo-Effekt von 58,5 Prozent. Das heißt, dass sich die allergischen Symptome bei den mit Placebo behandelten Studienteilnehmern mehr als halbierten im Vergleich zu ihren Symptomen vor Studienbeginn.

Dies sind nur zwei von mehreren Gründen, weshalb manche Wissenschaftler die grundsätzliche Frage stellen, ob doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studien zur Prüfung einer AIT tatsächlich das geeignete Mittel sind. Sie fordern, dass es in der Studie eine zusätzliche Gruppe mit gänzlich unbehandelten Patienten geben müsste. Damit ließe sich der wahre Placeboeffekt zuverlässig berechnen: Es wäre der Unterschied zwischen unbehandelter und Placebo-behandelter Gruppe. Dies ist allerdings ethisch und wissenschaftlich nur schwer vermittelbar, insbesondere bei Patienten mit schweren Allergien.

Faktoren, die den Placebo-Effekt beeinflussen

Eine Reihe von Faktoren beeinflusst die Höhe des Placebo-Effekts in Studien zur Allergen-Immuntherapie. Allerdings liegen dazu noch keine abschließenden Ergebnisse vor:

  • Die Art der Therapie: Es gibt Hinweise darauf, dass eine subkutane Anwendung zu größeren Placebo-Effekten führen könnte als eine über den Mund, zum Beispiel unter der Zunge (sublingual) angewandte Therapie. Eine Bestätigung durch wissenschaftliche Daten fehlt dazu bislang allerdings.
     
  • Kinder oder Erwachsene: Einige Daten deuten darauf hin, dass bei Kindern die Placebo-Effekte größer sein könnten als bei Erwachsenen. Ein klarer Beleg fehlt allerdings auch dafür.
     
  • Die Art des Placebos: In manchen Studien zur spezifischen Immuntherapie enthält das Placebo Histamin. In einer solchen Studie gab es Hinweise darauf, dass in der Placebo-Gruppe die lokalen Nebenwirkungen stärker waren als in der Gruppe, die das Allergen erhalten hatte.
     
  • Individuelle und kulturelle Unterschiede der Beteiligten, darunter etwa eine optimistische oder pessimistische Grundeinstellung.
     
  • Motivation – Patienten, die sich einen Behandlungserfolg aus der Teilnahme an einer AIT-Studie erhoffen, könnten andere Placebo-Effekte zeigen als solche, die wenig motiviert sind.
     
  • Die persönliche Wahrnehmung von Patienten während der Studie: Lokale Reaktionen treten bei der spezifischen Immuntherapie häufig auf. So bleibt den Patienten oft nicht verborgen, ob sie eine Behandlung mit Wirkstoff oder mit dem Placebo erhalten. Studienteilnehmer, die keine lokalen Reaktionen aufweisen, können enttäuscht sein, nicht in der Wirkstoff-Gruppe zu sein. Auch damit können Placebo-Effekte verbunden sein.

Schlussfolgerungen für Patienten und Studienärzte

Die bisherigen Studien zum Placebo-Effekt sind in ihrem Studiendesign sowie in der Dokumentation von Nebenwirkungen sehr unterschiedlich angelegt und daher wissenschaftlich nicht unbedingt miteinander vergleichbar. Auch gab es bislang keine systematische Untersuchung von Placebo-Effekten in der allergenspezifischen Immuntherapie. Und nur in wenigen Studien ist klar dokumentiert, wie die Ausgangslage (= Baseline) der Studienteilnehmer vor Beginn der Studie war, das heißt zum Beispiel, welche Symptome sie in welchem Umfang zuvor hatten.

Eine fundierte Aussage über Ausmaß und Ursachen des Placebo-Effekts bei der Allergen-Immuntherapie ist nach derzeitigem Kenntnisstand nicht möglich. Ebenso wenig lässt sich derzeit sagen, dass etwa der Placebo-Effekt für einen negativen Verlauf von Studien zur AIT verantwortlich ist.

Verlässliches Wissen dazu wäre aber für Patienten und Studienärzte von großer Bedeutung insbesondere in Hinblick auf abzuleitende Therapieempfehlungen. Daher fordern Wissenschaftler und Mediziner, dass in künftigen Untersuchungen der Placebo-Effekt in spezifischen Immuntherapien gezielt untersucht werden sollte.

Die Europäische Akademie für Allergologie und Klinische Immunologie hat daher 2018 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die den Placebo-Effekt bei AIT-Studien genauer untersuchen soll.

Hintergrund: Wie funktioniert die spezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung)?

Eine Hyposensibilisierung ist bislang die einzige Möglichkeit, Allergien an der Wurzel zu behandeln. Sie berücksichtigt genau die Allergene, die für die Beschwerden verantwortlich sind – zum Beispiel Pollen, Hausstaubmilben oder Insektengift. Man spricht deshalb auch von einer (Allergen-)spezifischen oder Allergen-Immuntherapie (kurz AIT).

Ziel der Hyposensibilisierung ist, das Immunsystem langsam an das eigentlich harmlose Allergen zu gewöhnen. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten:

  • Bei der subkutanen Immuntherapie (SCIT) erhält der Patient oder die Patientin in regelmäßigen Abständen eine Allergenlösung in steigender Dosierung unter die Haut des Oberarmes gespritzt, so lange, bis eine bestimmte Höchstmenge erreicht ist.
  • Bei der sublingualen Immuntherapie (SLIT) nimmt man das Allergen in Form einer Lösung oder einer Tablette zu sich; sie wird unter die Zunge geträufelt oder gelegt. 

Quellen

Die hier aufgeführten Leitlinien und Aufsätze richten sich, so nicht ausdrücklich anders vermerkt, an Fachkreise. Ein Teil der hier angegebenen Aufsätze ist in englischer Sprache verfasst.

  • Starostzik, C.: Warum scheitern Studien zur Immuntherapie? – Literatur kompakt. In: Allergo J 2018; 27:6
  • Bublak, R.: Placeboeffekt in der Immuntherapie ist abhängig von der Applikation. – In: Allergo J Int 2018; 27:6
  • Frew, AJ et Pfaar, O.: Placebo effects in allergen immunotherapy: an experts’ opinion. – In: Allergo J Int 2018; 27:162-166 (Letzter Abruf: 29.01.2024)
  • Jacob, T.: Zwei Kommentare zu Studien und Placebo-Effekten bei der spezifischen Immuntherapie. – In: Allergo J 2018; 27:14u.16
  • Oberhofer, E.: Die Allergen-spezifische Immuntherapie und der Placeboeffekt – Alles nur eine Frage der Verblindung? – Interview mit Prof. A. Frew und Prof. O. Pfaar. – In: Allergo J Int 2018; 27:90f
  • Van Wijk, RG: Positive and negative AIT trials: What makes the difference? – In: Allergo J Int 2018; 27:167-172 (Letzter Abruf: 29.01.2024)
  • Wedi, B. et al.: Placeboeffekt in Studien zur allergenspezifischen Immuntherapie mit Inhalationsallergenen. – In: Hautarzt 2017; 68:297-306

Letzte Aktualisierung: 3. Dezember 2018