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Arzneimittelallergie (Medikamentenallergie): Grundlagen

Um alle Arzneimittelreaktionen gemeinsam erfassen zu können, spricht man von Arzneimittel-Unverträglichkeiten. Mehr als 80 Prozent aller Arzneimittel-Unverträglichkeiten sind nicht allergischen Ursprungs. Meist handelt es sich um „normale“ Nebenwirkungen des Medikaments, ausgelöst durch dessen bekanntes toxisches („giftiges“) Nebenwirkungsprofil. Selten kommen auch Unverträglichkeiten vor, die nichts mit dem pharmakologischen Wirkstoff des Arzneimittels zu tun haben, sondern vielleicht mit einem Zusatzstoff.

Wissenschaftliche Beratung:

Prof. Dr. Knut Brockow, Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein Technische Universität München

E-Mail:knut.brockow@mri.tum.de

 

Um alle Arzneimittelreaktionen gemeinsam erfassen zu können, spricht man von Arzneimittel-Unverträglichkeiten. Mehr als 80 Prozent aller Arzneimittel-Unverträglichkeiten sind nicht allergischen Ursprungs. Meist handelt es sich um „normale“ Nebenwirkungen des Medikaments, ausgelöst durch dessen bekanntes toxisches („giftiges“) Nebenwirkungsprofil. Selten kommen auch Unverträglichkeiten vor, die nichts mit dem pharmakologischen Wirkstoff des Arzneimittels zu tun haben, sondern vielleicht mit einem Zusatzstoff.

Wissenschaftliche Beratung:

Dr. Katja Nemat, Ärzteverband Deutscher Allergologen (AeDA) c/o Kinderzentrum Dresden-Friedrichstadt

E-Mail: kinderpneumologie@kid-dresden.de

Überempfindlichkeitsreaktion auf Arzneimittel

Von einer Überempfindlichkeitsreaktion spricht man, wenn nicht die voraussehbare Wirkung eines Arzneistoffs die Ursache ist, sondern eine nicht vorhersehbare Reaktion auf Seiten des Patienten oder der Patientin. Die Ursache kann im Immunsystem liegen. Dann spricht man von Arzneimittelallergie. Wenn keine Reaktion des Immunsystems nachweisbar ist, kann es sein, dass die pharmakologische Wirkung des Medikaments bereits bei einer ungewöhnlich geringen Dosis eingesetzt hat (Arzneimittelintoleranz). Eine Arzneimittelidiosynkrasie liegt hingegen vor, wenn Symptome auftreten, die sich von der pharmakologischen Wirkung unterscheiden. Obwohl das Immunsystem nicht beteiligt ist, sehen diese Reaktionen manchmal aus wie allergische Erkrankungen. Dann wird auch der Ausdruck „Pseudoallergie“ verwandt.

Unklare Überempfindlichkeitsreaktionen sollten in jedem Fall ärztlich abgeklärt werden. Denn wer in dem Glauben auf ein Medikament verzichtet, eine Allergie gegen den Wirkstoff zu haben, beraubt sich auch einer Heilungsmöglichkeit. Außerdem gibt es die Möglichkeit, eine allergische Reaktion auf einen Wirkstoff mittels einer spezifischen Immuntherapie zu behandeln.

Entstehung von Arzneimittelallergien

Grundsätzlich kann jedes Medikament eine Allergie oder eine andere Arzneimittelunverträglichkeit auslösen. Eine Reaktion gegen Hilfs- und Zusatzstoffe ist genauso möglich wie gegen den Wirkstoff selbst. Es kann auch eine Rolle spielen, wie der Stoffwechsel ein Arzneimittel verarbeitet, ob der Wirkstoff sich im ganzen Körper verteilt oder sich in wenigen Zellen oder gar in einem bestimmten Teil der Zellen konzentriert. Möglich ist ebenfalls, dass ein Bestandteil des Wirkstoffs im Laufe der Verarbeitung im Körper toxisch wird oder eine bestimmte genetische Veranlagung verhindert, dass der Wirkstoff normal verarbeitet wird.

Allergische Reaktionstypen bei einer Arzneimittelallergie

Arzneistoffe können alle typischen Reaktionen nach der klassischen Einteilung von Coombs und Gell auslösen:

 Bezeichnung (Typ)

Art bzw. Ablauf der ReaktionDauer vom Kontakt mit Wirkstoff bis Auftreten der ReaktionTypische Symptome

Typ I, Soforttyp, Frühtyp

Bildung spezifischer IgE-Antikörper, Freisetzung von Botenstoffen (z.B. Histamin)Wenige Minuten bis einige StundenJuckreiz, Hautrötung, Urtikaria, Schwellungen, Anaphylaxie

Typ II, zytotoxischer Typ (selten)

Zerstörung von Zellen durch Immunkomplexe aus Antigenen und IgG- oder IgM-AntikörpernEin Tag bis mehrere MonateAgranulozytose, hämolytische Anämie, Thrombopenie

Typ III, Immunkomplextyp (selten)

Freisetzung zellschädigender Substanzen durch Immunkomplexe aus Antigenen und IgA-oder IgG-AntikörpernEin Tag bis mehrere Monate

Anaphylaxie, Serumkrankheit, Vasculitis allergica

 

 

Typ IV, Spättyp, verzögerter TypBildung spezifischer, gegen das Allergen gerichteter T-Lymphozyten½ bis 14 Tageu.a. Arzneimittelexanthem (makulopapulöses Exanthem), Kontaktallergie, Ekzem
Pseudoallergie (nichtallergische Arzneimittelüberempfindlichkeit)Aktivierung von Mastzellen ohne Bildung spezifischer Antikörper, keine Immunreaktion feststellbarEinige Minuten bis Stunden, grundsätzlich Nachahmung aller Reaktionstypen möglich.meist Urtikaria, Schwellungen, Anaphylaxie

 Allergische Reaktionstypen bei einer Arzneimittelallergie

Quelle: modifiziert nach Coombs, R.R.A., Gell P.G.H.; The classifications of allergic reactions underlying diseases. In: Clinical aspects of immunology, Philadelphia 1963, Brockow K. et al.: Allergische und pseudoallergische Arzneireaktionen, in Ring, J.: Weißbuch Allergie in Deutschland, München 2010, Ardern-Jones, M.: Skin Manifestations of drug allergy, in: Br J Clin Pharmacol / 71:5, S. 673-683, Bircher, A.: Approach to the Patient with a Drug Hypersensitivity Reaction – Clinical Perspectives. In: Pichler WJ hrsg.: Drug Hypersensivity, Basel 2007

ASS-Intoleranz

Im Gegensatz zu einer echten Allergie ist bei einer nicht allergischen Pseudoallergie nicht eine der nachweisbaren, in der Tabelle beschriebenen Reaktionen verantwortlich, sondern ein häufig unbekannter Mechanismus. Eine bekannte, durch ein Medikament ausgelöste Pseudoallergie ist die Intoleranz gegen Acetylsalicylsäure (ASS). Die Patienten reagieren etwa 30-45 Minuten nach Einnahme eines Medikaments mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure mit Augenrötung, allergischem Schnupfen, Asthmaanfällen oder mit Hautrötung und Quaddelbildung. Die Symptome können mild bis schwerwiegend sein. Ursache ist nach derzeitigem Wissenstand ein Ungleichgewicht im Arachidonsäure-Stoffwechsel.

Ausführliche Informationen zum ASS-Intoleranz-Syndrom

Quellen

Die hier aufgeführten Leitlinien und Aufsätze richten sich, so nicht ausdrücklich anders vermerkt, an Fachkreise. Ein Teil der hier angegebenen Aufsätze ist in englischer Sprache verfasst.

  • Ardern-Jones, M., Friedmann P.: Skin Manifestations of Drug Allergy. In: Br Clin Pharmacol. 2011, 71:5, S. 672-683
  • Bircher, AJ. et al.: Approach to the Patient with a Drug Hypersensitivity Reaction – Clinical Perspectives. In: Pichler, WJ (hrsg.): Drug Hypersensitivity, Basel 2007, S. 352-365
  • Bircher, AJ: Arzneimittelallergie. In: Manuale allergologicum, 4. Auflage München 2016, S. 703-740
  • Blumenthal, K. et al.: Survey of Inpatient Clinical Providers' Antibiotic Prescribing Knowledge. In: J Allergy Clin Immunol Pract. 2014; 2 (4): S. 407-413
  • Brockow K. et al.: Allergische und pseudoallergische Arzneireaktionen, in Ring, J.: Weißbuch Allergie in Deutschland, München 2010
  • Brockow, K. et al.: Leitlinie Allergologische Diagnostik von Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel. In: Allergo J Int 2015; 24: 94
  • Cernadas, A. et al.: General considerations on rapid desensitization for drug hypersensitivity – a consensus statement. In: Allergy 2010; 65: 1357–1366.
  • Ehmann, L.: Management der Haut-Nebenwirkungen von EGFR-Inhibitoren, LMU München, undatiert
  • Fernando, B. et al.: Approaches to Recording Drug Allergies in Electronic Health Records: Qualitative Study, in: PLOS one, April 2014, doi.org/10.1371/journal.pone.0093047
  • Gesellschaft für Pädiatrische Allergie und Umweltmedizin (GPA) hrsg.: Schwerpunkt Medikamentenallergie. In: Pädiatrische Allergologie in Klinik und Praxis, Ausgabe 1/2010:6-17
  • Guillen, D.: Aspirin Desensitization Achieved After Omalizumab Treatment in a Patient with Aspirin-Exacerbated Urticaria and Respiratory Disease. In: J Investig Allergol Clin Immunol 2015; Vol. 25(2): 133-162
  • Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): gesundheitsinformationen.de: Medikamentenallergie (Letzter Abruf: 19.01.2024)
  • Jörg, L. et al.: Allergie auf Penicillin. In: Schweizerisches Medizin-Forum 2017; 17(10):236–240
  • Lange, L., Gernert, S.: Diagnostik der Medikamentenallergie. In: Pädiatrische Allergologie  2/2017,  6-12
  • Mallal, S. et al.: HLA-B*5701 Screening for Hypersensitivity to Abacavir. In: N Engl J Med 2008;358:568-79.
  • National Institute for Health and Care Excellence (NICE): Drug allergy. Diagnosis and management. September 2014 (Letzter Abruf: 19.01.2024)
  • Norton, A.E., Broyles, A.D.: Drug allergy in children and adults. In: Ann Allergy Asthma Immunol 2019; 122: 148e155
  • Pirmohamed M. et al.: Adverse drug reactions as cause of admission to hospital: prospective analysis of 18 820 patients. British Medical Journal 2004, 329, 15–19
  • Sachs, B. et al.: Diskrepanzen zwischen berichteter und verifizierter Penicillinallergie. Mögliche Implikationen für den Patienten und das Gesundheitssystem. In: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte / Paul-Ehrlich-Institut hrsg.: Bulletin zur Arzneimttelsicherheit, März 2018, S. 4-11
  • Thong, B., Vervloet, D.: Drug Allergies. WAO allergic disease resource center, updated 2014. (Letzter Abruf: 19.01.2024)
  • Trcka, J. et al.: Pencillintherapie trotz Penicillinallergie? In: Deutsches Ärzteblatt,  Heft 43/2004. A 2888-A 2892
  • Turner, P. et al.: Fatal Anaphylaxis: Mortality Rates and Risk Factors. In: J Allergy Clin Immunol Pract, 2017;5:1169-78
  • Wheatley, L. et al.: Report from the National Institute of Allergy and Infectious Disease Workshop on Drug Allergy. In: J Allergy Clin. Immunol. Aug. 2015,; 136(2): 262-271

Letzte Aktualisierung: 14. November 2018