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Geschlechterforschung und Allergie - Mann und Frau
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Geschlechterforschung bei allergischen Erkrankungen

Immer mehr Daten aus epidemiologischen Studien weisen darauf hin, dass es altersabhängige Geschlechtsunterschiede in der Häufigkeit allergischer und atopischer Erkrankungen gibt. Im Kindesalter sind Jungen häufiger betroffen als Mädchen. Dies ändert sich während der Pubertät, so dass im Erwachsenenalter allgemein mehr Frauen als Männer an Allergien erkrankt sind.

Wissenschaftliche Beratung:

Dr. Marie Standl, Helmholtz Munich, Institut für Epidemiologie

E-Mail: marie-standl@helmholtz-munich.de

Immer mehr Daten aus epidemiologischen Studien weisen darauf hin, dass es altersabhängige Geschlechtsunterschiede in der Häufigkeit allergischer und atopischer Erkrankungen gibt. Im Kindesalter sind Jungen häufiger betroffen als Mädchen. Dies ändert sich während der Pubertät, so dass im Erwachsenenalter allgemein mehr Frauen als Männer an Allergien erkrankt sind.

Wissenschaftliche Beratung:

Dr. Marie Standl, Helmholtz Zentrum München, Institut für Epidemiologie

E-Mail: marie-standl@helmholtz-muenchen.de

Mögliche Ursachen sind vor allem hormonell und genetisch bedingte Faktoren, aber auch Unterschiede in den Lebensumständen im privaten und beruflichen Alltag. Zudem unterscheiden sich Frauen und Männer in ihrem Risikoverhalten.

Geschlechtsunterschiede bei allergischen Erkrankungen haben für einzelne Betroffene bislang eher wenig praktische Konsequenzen. Forschungsergebnisse zu genetischen, epigenetischen und Umweltfaktoren einschließlich Unterschieden hinsichtlich der hormonellen Einflüsse im Verlauf des menschlichen Lebenszyklus liefern allerdings Grundlagen für eine personalisierte Medizin. Diese kann es künftig ermöglichen, Prävention und Behandlung von Allergien besser am individuellen Menschen auszurichten. 

Altersabhängige Geschlechtsunterschiede

Von wenigen Ausnahmen abgesehen treten allergische Erkrankungen der Haut und der Atemwege insgesamt beim weiblichen Geschlecht häufiger auf als beim männlichen. Die Unterschiede sind jedoch altersabhängig. 

Während der Kindheit kommen die meisten allergischen Erkrankungen bei Jungen häufiger vor als bei Mädchen. Jungen haben bis zur Pubertät ein höheres Risiko für das Auftreten von atopischen Erkrankungen der Atemwege wie allergische Rhinitis und Asthma. Einer Untersuchung in Großbritannien zufolge lag das Risiko für allergischen Schnupfen und Asthma unter Jungen im Alter zwischen 5 und 14 Jahren um das Eineinhalbfache höher als bei Mädchen.

Nach der Pubertät kehrt sich das Verhältnis um. So sind ab dem frühen Erwachsenenalter zunehmend mehr Frauen als Männer betroffen. Dies gilt sowohl für Allergien der Atemwege wie Asthma und allergische Rhinitis als auch für Neurodermitis, Nahrungs- und Arzneimittelallergie sowie Anaphylaxie. Einzige Ausnahme bildet die eosinophile Ösophagitis, die durchwegs bei Männern in allen Altersgruppen häufiger beobachtet wird.

Frauen erkranken ab dem frühen Erwachsenenalter allerdings nicht nur häufiger. Ihre Erkrankungen weisen im Durchschnitt auch einen höheren Schweregrad auf als bei Männern, und dementsprechend sind sie krankheitsbedingt in ihrer Lebensqualität stärker beeinträchtigt.

Daten zu Geschlechtsunterschieden bei Allergien in Deutschland

Repräsentative Daten zum Vorkommen allergischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland stammen aus der Erhebung der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (KiGGS) des Robert Koch-Instituts (RKI). Die Basiserhebung erfolgte zwischen 2003 und 2006 an einer Stichprobe von 17.641 0- bis 17-Jährigen. Die Wissenschaftler:innen fragten nach allergischen Erkrankungen und untersuchten Blutproben auf spezifische IgE-Antikörper gegen 20 verbreitete Allergene. Die Ergebnisse basierend auf Elternangaben bestätigten, dass in den vergangenen zwölf Monaten insgesamt mehr Jungen als Mädchen von allergischen Erkrankungen einschließlich Asthma bronchiale betroffen waren. Atopische Erkrankungen traten insgesamt bei 16,1 Prozent der 0- bis 17-Jährigen in Deutschland auf. Dabei erkrankten häufiger Jungen (17,3 Prozent) als Mädchen (14,9 Prozent). Geschlechtsunterschiede zeigten sich vor allem in den Altersgruppen der 0- bis 2-Jährigen und der 11- bis 13-Jährigen.

In den Jahren 2009 bis 2012 lief die erste Folgebefragung im Rahmen der KiGGS-Studie mittels Telefoninterviews. Dazu befragte man die Eltern von 6093 Mädchen und 6275 Jungen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Unterschiede bei den Erkrankungshäufigkeiten zwischen Jungen und Mädchen seit der Basiserhebung geringer geworden sind – sowohl bei atopischen Erkrankungen als auch beim allergischen Kontaktekzem.

Neuere Daten stammen aus der Folgeerhebung KiGGS Welle 2 der Jahre 2014 – 2017. Sie zeigen für die aktuelle Verbreitung (innerhalb der vorausgegangenen zwölf Monate) der bei Kindern und Jugendlichen am häufigsten vorkommenden allergischen Erkrankungen HeuschnupfenNeurodermitis und Asthma bronchiale im Vergleich zur KiGGS-Basiserhebung keine wesentlichen Veränderungen. Dies weist somit auf eine Stabilisierung der Erkrankungshäufigkeiten auf hohem Niveau hin. Allerdings sind einige geschlechtsspezifische Entwicklungen bemerkenswert, zum Beispiel die höhere Asthmahäufigkeit bei Jungen im Alter von 7 bis 13 Jahren im Vergleich zu den Ergebnissen bei der gleichen Altersgruppe etwa zehn Jahre zuvor: Zwischen den beiden Untersuchungszeitpunkten blieben die Angaben zur Häufigkeit bei Mädchen unverändert, während bei Jungen insgesamt ein leichter Anstieg von 3,7 auf 4,4 Prozent zu beobachten war. Dies ist im Wesentlichen auf eine Zunahme bei den Jungen in der Altersgruppen 7 bis 10 Jahre und 11 bis 13 Jahre zurückzuführen.

Frauen sind stärker von Allergien betroffen

Daten aus Deutschland für Erwachsene stammen aus der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS1) als Bestandteil des Gesundheitsmonitorings des RKI. In der ersten Welle der DEGS1 wurden von 2008 bis 2011 mittels Befragungen, Untersuchungen und Tests bundesweit repräsentative Daten zu allergischen Erkrankungen von 7.988 18- bis 79-Jährigen erhoben. Demnach sind Frauen von allen Allergiediagnosen häufiger betroffen als Männer. Mit Ausnahme der Neurodermitis fielen diese Unterschiede signifikant aus. Allgemein gaben 35,8 Prozent der Frauen und 24,1 Prozent der Männer an, dass bei ihnen jemals mindestens einer Allergie diagnostiziert wurde. In den vergangenen zwölf Monaten war bei 22,9 Prozent der Frauen und 15,9 Prozent der Männer mindestens eine allergische Erkrankung aufgetreten.

Neuere Daten zum Vorkommen von Allergien (mit Ausnahme von allergischem Asthma) bei Erwachsenen liegen aus der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA 2014/2015 EHIS) vor. Sie basieren auf einer Befragung von 24.016 Personen (10.872 Männer, 13.144 Frauen) im Alter von 18 bis 79 Jahren. Demnach gaben 31,6 Prozent der Frauen und 24,5 Prozent der Männer an, dass sie in den letzten zwölf Monaten von einer allergischen Erkrankung betroffen waren. 

Erklärungsansätze für Geschlechtsunterschiede

Geschlechtsunterschiede sind allgegenwärtig in der Biologie des Menschen und betreffen auch das Immunsystem. Allgemein ist zu beobachten, dass allergische Erkrankungen vor der Pubertät beim männlichen Geschlecht häufiger vorkommen als beim weiblichen, und sich das Verhältnis danach umkehrt. Dies weist auf dynamische Veränderungen der Geschlechtsverteilung bei allergischen Erkrankungen und eine mögliche Rolle hormoneller und epigenetischer Faktoren hin. Die Entstehung von Allergien wird nicht nur durch eine genetisch bedingte Allergieneigung und biologische geschlechtsbezogene Unterschiede bestimmt. Vielmehr können auch kulturelle, soziale, Lebensstil-bedingte und Umweltfaktoren die Entstehung von Allergien beeinflussen. Sie zeigen nicht nur Auswirkungen auf das Verhalten und die Wahrnehmung der Betroffenen sondern möglicherweise auch auf die Ausprägungen der Erkrankungen.

Bei der Sensibilisierung gegenüber Nahrungsmitteln können zudem Unterschiede in den Ernährungsgewohnheiten eine Rolle spielen. Dies trifft insbesondere für das Kindesalter zu. 

Bei der Entstehung von Asthma bronchiale in der frühen Kindheit sind möglicherweise auch geschlechtsbedingte anatomische Unterschiede bei der Entwicklung der Lungen und Atemwege von Bedeutung. So haben Jungen im Vergleich zu Mädchen kleinere Atemwege im Verhältnis zur Lungengröße. Dies kann die Entstehung von Asthma und dessen Vorstufen begünstigen. 

Mögliche Einflüsse von Sexualhormonen auf immunologische Reaktionen

Eine Vielzahl von Daten weist auf eine entscheidende Rolle der Geschlechtshormone bei Entstehung und Verlauf allergischer Erkrankungen hin. Allerdings sind die Zusammenhänge sehr komplex. Die direkten Einflüsse von Sexualhormonen bei allergischen Erkrankungen sind noch nicht vollständig geklärt.

Zu den weiblichen Sexualhormonen zählen die Östrogene und Progesteron (Gelbkörperhormon, oft auch als Gestagen bezeichnet). Die männlichen Geschlechtshormone bezeichnet man auch als Androgene; ihr wichtigster Vertreter ist das Testosteron. 

Bekannt ist, dass verschiedene Immunzellen (Lymphozyten, Monozyten und Mastzellen sowie eosinophile und basophile Granulozyten) auf ihrer Oberfläche Rezeptoren für Sexualhormone ausbilden. Dies bedeutet, dass die Zellen auf Hormonmoleküle reagieren können, wenn diese sich an die Rezeptoren binden.

Bisherige Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass Östrogene die Entwicklung von Allergien begünstigen und die Anfälligkeit für atopische Erkrankungen erhöhen können, indem sie bestimmte immunologische Reaktionen wie etwa die Antikörper-Produktion oder die Aktivierung von Mastzellen verstärken. Zudem wirken sie entzündungsfördernd. Demgegenüber verhindert Progesteron zwar eine Histaminausschüttung aus Mastzellen, kann allerdings die IgE-Bildung fördern.

Aufgrund bisheriger Erkenntnisse geht man davon aus, dass Progesteron und Androgene ebenso wie Glukokortikoide Reaktionen des Immunsystems insgesamt eher unterdrücken und damit auch allergischen Reaktionen entgegenwirken.

Auswirkungen von Hormonen auf Entstehung und Verlauf allergischer Erkrankungen bei Frauen

Zum Einfluss im Körper gebildeter wie auch von außen zugeführter weiblicher Sexualhormone auf Entwicklung und Verlauf von Allergien und Asthma bronchiale bei Frauen liegen Daten aus einer großen Übersichtsstudie vor. In diese Metaanalyse gingen die Daten von insgesamt 554.293 Probandinnen ein. Die Ergebnisse weisen auf Zusammenhänge mit dem Zeitpunkt der ersten Regelblutung, der Regelmäßigkeit des Menstruationszyklus, dem Zeitpunkt vor oder nach den Wechseljahren sowie mit der Einnahme von hormonellen Verhütungsmitteln oder Ersatztherapien hin.

  • Zeitpunkt der ersten Regelblutung (Menarche): Ein sehr früher Eintritt der ersten Regel im Alter unter elf Jahren ist im Vergleich mit dem typischen Beginn (11 – 13 Jahre) mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten von Asthma verbunden. Hingegen zeigt sich bei spätem Beginn der Menstruation (Alter über 13 Jahre) ein Zusammenhang mit einem erhöhten Asthma-Risiko allgemein, nicht jedoch mit dem Neuauftreten von Asthma.
  • Menstruationszyklus: Im Vergleich zu einem regelmäßigen war ein unregelmäßiger Menstruationszyklus mit einem erhöhten Risiko für Asthma in den vergangenen zwölf Monaten verbunden, speziell für atopisches, jedoch nicht für nicht-atopisches Asthma.
  • Zeit nach der letzten Regelblutung (Menopause): Verglichen mit der Phase vor der Menopause war das Einsetzen der Menopause mit einem erhöhten Risiko für Asthma verbunden, jedoch nicht für allergische Rhinitis in den vergangenen zwölf Monaten.
  • Hormonelle Empfängnisverhütungsmittel (Kontrazeptiva, „Pille“): In Bezug auf die Einnahme hormoneller Verhütungsmittel waren die Ergebnisse unterschiedlich und gingen sowohl mit erhöhtem als auch erniedrigtem Allergierisiko einher.
  • Hormonelle Ersatztherapie (HRT): Im Vergleich zu völlig fehlender HRT war eine HRT jemals in der Vergangenheit und aktuell sowie die aktuelle Anwendung ausschließlich von Östrogenen mit erhöhtem Risiko für das Neuauftreten von Asthma bronchiale verbunden. Für die aktuelle Einnahme zeigte sich ebenfalls ein Zusammenhang mit erhöhtem Risiko für aktuelles Asthma, nicht jedoch aktuelle allergische Rhinitis. Das Risiko war höher bei normalgewichtigen Frauen und Nichtraucherinnen als bei übergewichtigen und rauchenden Frauen.

Quellen

Die hier aufgeführten Leitlinien und Aufsätze richten sich, so nicht ausdrücklich anders vermerkt, an Fachkreise. Ein Teil der hier angegebenen Aufsätze ist in englischer Sprache verfasst.

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  • Nowak-Wegrzyn, A. et al.: Sex and allergic dieeases. In: Ann Allergy Asthma Immunol 2019; 122; 134e135
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  • Schlaud, M., Atzpodien, K., Thierfelder, W. Allergische Erkrankungen – Ergebnisse aus dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS). In: Bundesgesundheitsbl - Gesundheitsforsch - Gesundheitsschutz 2007; 50: 701–710
  • Schmitz, R., Kuhnert, R., Thamm, M.: 12-Monats-Prävalenz von Allergien in Deutschland. In: Journal of Health Monitoring 2017; 2(1)
  • Stocks, J., et al.: Early lung development: lifelong effect on respiratory health and disease. In: Lancet Respir Med 2013; 1(9): 728-742
  • Thamm, R. et al.: Allergische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Querschnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. In: Journal of Health Monitoring 2018; 3(3): 03–18

Letzte Aktualisierung:

22. August 2019