Ernährung im Kindesalter: Stillen, Muttermilchersatznahrung und Beikost
Wissenschaftliche Beratung: Prof. Dr. Thilo Biedermann und Prof. Dr. Ulf Darsow
Alle Kinder sollten vier bis sechs Monate lang voll gestillt werden – nicht nur aus Gründen der Allergievorbeugung. Muttermilch ist für Babys die beste Nahrung. Voll stillen bedeutet, dass das Kind ausschließlich Muttermilch erhält, ohne weitere Kost, auch nicht Tees oder Säfte.
Vor allem in den ersten zwei Lebensjahren prägen äußere Einflüsse den kindlichen Organismus. In dieser Zeit kann eine allergievorbeugende Ernährung das spätere Allergierisiko besonders günstig beeinflussen. Das gilt speziell für Neurodermitis, aber auch für die Entwicklung des Immunsystems allgemein.
Inhalt:
Stillen schützt vor Allergien und Übergewicht
Auch nach Einführung der Beikost sollten alle Säuglinge noch weiter gestillt werden: Über die Muttermilch erhält der Säugling wichtige Stoffe für sein noch nicht vollständig entwickeltes Abwehrsystem. Man weiß, dass es die Verträglichkeit neuer Lebensmittel verbessert, wenn das Kind während der Beikosteinführung weiter gestillt wird. Länger gestillte Kinder bekommen zudem weniger Atemwegsinfekte und haben seltener Übergewicht und Typ-2-Diabetes. Eine Höchstdauer für das Stillen gibt es nicht. Die Stilldauer bestimmen Mutter und Kind.
Gut zu wissen
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gibt Empfehlungen und praktische Hinweise für die Beikost bei erhöhtem Allergierisiko.
Beikost frühestens ab dem 5. und spätestens ab dem 7. Monat
Die Leitlinie zur Allergieprävention empfiehlt, ab dem fünften Lebensmonat schrittweise zuzufüttern. Die Nationale Stillkommission rät dazu, Kinder unter Berücksichtigung ihrer Entwicklung und ihrer individuellen Essfähigkeit ab dem fünften und nicht später als bis zum Beginn des siebten Lebensmonats an Lebensmittel zu gewöhnen. Es nützt nichts, Lebensmittel, die häufig Allergien auslösen, im ersten Lebensjahr des Kindes zu meiden. Neben der Allergievorbeugung spielt hier auch die Nährstoffversorgung des Kindes eine Rolle, da diese allein über die Muttermilch irgendwann nicht mehr ausreicht. Wann dieser Zeitpunkt gekommen ist, ist jedoch von Kind zu Kind verschieden.
Vielseitiger Speiseplan für alle Kinder
Durch einen bunten Speiseplan sollen Babys nach und nach an möglichst viele Nahrungsmittel herangeführt werden. Selbst potentielle Allergieauslöser wie Kuhmilch, Ei, Weizen, Fisch, Möhren und Nüsse dürfen und sollen ab dem fünften Lebensmonat schrittweise und wie es das Baby zulässt, auf dem Speiseplan stehen - auch bei allergiegefährdeten Kindern.
So sind Möhren als erste feste Beikost gut geeignet. Sie schmecken süß, sind mild und festigen den Stuhl. In Untersuchungen wie der MAS- und der GINI-Studie wurden bis zum Ende des ersten Lebensjahres keine Sensibilisierungen gegen Karotten gefunden, obwohl alle untersuchten Kinder bereits mit Karotten gefüttert wurden. Ebenfalls äußerst gering war die Sensibilisierungsrate gegen Kartoffeln, Birnen und Äpfel.

In der LEAP-Studie zur Erdnussallergie an Kleinkindern mit bestehender Neurodermitis und/ oder Eiallergie zeigte sich, dass mehr als 13 Prozent der Kinder, die Erdnüsse mieden, später eine Erdnussallergie entwickelten. Kinder, die Erdnüsse aßen, waren mit etwa zwei Prozent deutlich weniger betroffen.
Kurz erklärt
Wenn die Mutter nicht oder nicht voll stillt, empfiehlt die Leitlinie zur Allergieprävention für Kinder allergiebelasteter Familien in den ersten vier Monaten HA-Säuglingsnahrung.
Wenn Stillen nicht möglich ist
HA steht für HypoAllergen. Diese industriell gefertigte Anfangsnahrung enthält aufgespaltenes bzw. zerstückeltes (hydrolysiertes) und dadurch weniger allergenes Vollmilch- oder Molkeeiweiß.
Ob HA-Nahrung Allergien vorbeugen kann, ist nicht eindeutig belegt. Die Studienlage ist uneinheitlich. Ergebnisse der GINI-Studie, einer großen deutschen Langzeitbeobachtung von Kindern mit erhöhtem Allergierisiko, deuten darauf hin, dass HA-Nahrung bei diesen Kindern einen vorbeugenden Effekt haben kann. Ihr allergievorbeugender Effekt zeigte sich in der GINI-Studie allerdings nur für Neurodermitis, nicht für Asthma oder Heuschnupfen. Und nicht alle diese Hydrolysat-Nahrungen haben die gleiche schützende Wirkung.
Eine aktuelle Analyse verschiedener Untersuchungen (Metaanalyse) kommt zu dem Ergebnis, dass ein allergievorbeugender Effekt von HA-Nahrung bei Risikokindern nicht eindeutig belegbar ist. Eine weitere Metaanalyse kommt zu dem Schluss, dass eine spezielle Säuglingsnahrung eines bestimmten Herstellers Allergien bei Risikokindern vorbeugen kann.
Da keine allgemeingültige Aussage möglich ist, ob HA-Nahrung Allergien vorbeugen kann, empfieht zum Beispiel die europäische Leitlinie zur Vorbeugung von Nahrungsmittelallergien betroffenen Eltern, ein Produkt auszuwählen, für den ein Effekt nachgewiesen ist.
Gut zu wissen
Milchnahrung aus Soja-, Ziegen- oder Stutenmilch wirkt nicht präventiv gegen Allergien. Die Zusammenhänge werden auf einer Informationsseite für junge Eltern erklärt.
Säuglingsnahrung auf Basis von Kuhmilchalternativen ungeeignet
Soja enthält östrogenähnliche, pflanzliche Hormone, die im Tierversuch die Entwicklung von Fortpflanzungsorganen, Immunsystem und Schilddrüse ungünstig beeinflusst haben. Auch Phytat kommt darin vor. Dieser sekundäre Pflanzenstoff bindet wichtige Mineralien wie Eisen und Zink im Darm, so dass der Körper sie nicht mehr so gut aufnehmen kann.
Soja wird deshalb nur dann empfohlen, wenn medizinische Gründe vorliegen, zum Beispiel bei einem seltenen angeborenem Mangel an dem Enzym Laktase oder bei der ebenfalls seltenen Stoffwechselstörung Galaktosämie (einer Abbaustörung des Zuckers Galaktose) und dann auch nur unter ärztlicher Begleitung. Eine Milchzuckerunverträglichkeit (Laktoseintoleranz) oder Kuhmilchallergie ist in der Regel kein Grund für Soja-Nahrung.
Weitere Kuhmilch-Alternativen wie zum Beispiel Ziegen-, Schaf- und Stutenmilch oder Hafer-, Reis-, Mandel- oder Frischkorndrinks enthalten für Säuglinge oftmals nicht genügend Nährstoffe. Außerdem reagieren die meisten Kuhmilchallergiker auch auf die Milch anderer Tiere. Erzeugnisse wie Mandelmilch stehen zudem selbst im Verdacht, allergische Reaktionen auszulösen. Zur Allergieprävention sind sie nicht geeignet.
Prä- und Probiotika
Muttermilch enthält Präbiotika. Dies sind unverdauliche Kohlenhydrate (Oligosaccharide), die den Bakterien der Darmflora als Nahrung dienen und das Keimmilieu verbessern. So fand man bei gestillten Kindern eine größere Menge der nützlichen Milchsäurebakterien Bifido- und Laktobazillen im Stuhl als bei nicht gestillten Kindern.
In manchen Säuglingsnahrungen wird versucht, diese günstige Wirkung nachzuahmen: Probiotika-Produkte enthalten lebende Lakto- und Bifidobakterien, die zusätzlich zugeführt werden und sich im Darm ansiedeln sollen. Präbiotika-Produkte enthalten Oligosaccharide, die das Wachstum und die Entwicklung der im Darm vorhandenen Bakterien anregen.
Ob derart angereicherte Säuglingsnahrung tatsächlich vor Allergien schützen können, ist nicht eindeutig belegt. Hinweise für eine vorbeugende Wirkung von Probiotika gibt es bislang nur für die Neurodermitis. Präbiotika allein scheinen keinen Allergie-Schutz zu bieten.
Die Leitlinien empfehlen Pro- und Präbiotika aufgrund der uneinheitlichen und nicht ausreichenden Datenlage derzeit noch nicht zur Allergievorbeugung.
Übergewicht erhöht das Risiko für Asthma

Zahlreiche Studien geben Hinweise darauf, dass deutlich Übergewichtige eher zu Asthma neigen. Die Leitlinie zur Allergieprävention empfiehlt daher, schon bei Babys auf das Gewicht zu achten. Die Gewichtskontrolle fängt aber eigentlich bereits bei der Mutter vor und während der Schwangerschaft an: Wiegt sie zu viel, ist das Kind später mit größerer Wahrscheinlichkeit auch übergewichtig.
Frauen mit Kinderwunsch sollten gegebenenfalls rechtzeitig abnehmen. Während der Schwangerschaft sind Diäten und Gewichtsverlust nur in Ausnahmenfällen erlaubt, damit es nicht zur Mangelernährung des Babys kommt. In Langzeitstudien zeigte sich auch, dass Kinder, die mindestens sechs Monate gestillt werden, in der späteren Kindheit seltener Übergewicht haben.
Wissenschaftliche Beratung
Prof. Dr. Thilo Biedermann
Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein der TU München
E-Mail: tilo.biedermann@tum.de
Prof. Dr. Ulf Darsow
Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein der TU München
E-Mail: ulf.darsow@tum.de
Quellen:
Die hier aufgeführten Leitlinien und Aufsätze richten sich, so nicht ausdrücklich anders vermerkt, an Fachkreise. Ein Teil der hier angegebenen Aufsätze ist in englischer Sprache verfasst.
- Bellach, J. et al.: Prävention von Nahrungsmittelallergien durch frühe Exposition mit Nahrungsmitteln. In: Pädiatrische Allergologie, 2014, 04: 6
- Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (Hrsg.): Zeitschrift für Kinder- und Jugendgesundheit-Ratgeber der Kinder und Jugendärzte, Heft 4/05
- Beyer, K.: Die Rolle der Ernährung in der Prävention atopischer Erkrankungen. In: Pädiatrische Allergologie, 2018, Sonderheft „Prävention“: 8-12
- Boyle, RJ. et al.: Hydrolysed formula and risk of allergic or autoimmune disease: systematic review and meta-analysis. In: BMJ, 2016, 352: i974
- Braig, S. et al.: Maternal prenatal stress and child atopic dermatitis up to age 2 years: The Ulm SPATZ health study. In Pediatr Allergy Immunol, 2017, 28(2):144-151
- Bundesinstitut für Risikobewertung (Hrsg., 2007): Säuglingsnahrung aus Sojaeiweiß ist kein Ersatz für Kuhmilchprodukte. Stellungnahme Nr. 043/2007 vom 21.05.20107 (Letzter Abruf: 14.11.2019)
- Bundesinstitut für Risikobewertung: Update der S3-Leitlinie Allergieprävention weicht von Stillempfehlung der Nationalen Stillkommission ab. Stellungnahme der Nationalen Stillkommission am BfR vom 30.04.2015. In:_Bundesgesundheitsbl, 2015, 58: 875-876
- Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Hrsg.): Nachgefragt: Häufige Fragen von der Schwangerschaft bis ins Kleinkindalter (Letzter Abruf: 14.11.2019)
- Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Aktionsplan Allergien - Allergieportal. (eingestellt am 31.12.2012)
- Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (Hrsg., 2014): Nationaler Aktionsplan Allergie (Letzter Abruf: 14.11.2019)
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- Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (Hrsg.): Stress in der Kindheit erhöht Allergierisiko (Letzter Abruf: 14.11.2019)
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- Volz, T. et al. „NOD2 Signalling critically influences sensitization to orally ingested allergens“. In: Journal of Investigative Dermatology 136:9 (2016). S. 201
- World Allergy Organization: Leitlinien zur Prävention allergischer Erkrankungen mit Präbiotika bzw. Probiotika (Letzer Abruf: 14.11.2019)
- Worm, M.: Erdnussallergie: Kann eine frühe Einführung von Erdnuss das Risiko für die Entwicklung einer Erdnussallergie beeinflussen?, Charité (Hrsg.)
Letzte Aktualisierung:
14. November 2019